Verliebt in Einfache(r) Sprache

Marlene und das Kribbeln im Bauch ist ein Jugendbuch in Einfacher Sprache für Menschen mit und ohne Behinderung. Darin lernt Marlene bei einer Party in der inklusiven Disko Mika kennen. Sie tanzen den ganzen Abend zusammen und in Marlenes Bauch ist auf einmal so ein Kribbeln.

Das Buch von Agnes Schruf erzählt, wie Marlene sich zum ersten Mal verliebt. Die Lesenden begleiten sie über eine Woche bei allen Gefühlen, die Marlene erlebt, schön und detailliert illustriert von Malou Großklaus.

Im Großen und Ganzen hat mir das Buch sehr gut gefallen, auch weil ich es wichtig finde, dass es Bücher in einfacher Sprache für unterschiedliche Altersstufen gibt.

Zwei Kritikpunkte habe ich dennoch (für den ersten Absatz CN Erwähnung sexualisierte Gewalt, im Buch passiert aber keine):

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Gerade Frauen mit Behinderung erleben überdurchschnittlich oft sexualisierte Gewalt. In Büchern wie diesem wäre es leicht, die Wichtigkeit von Konsens unterzubringen, statt dass sich, wie hier, einfach geküsst wird. Es hätte Kommunikation dazu stattfinden können, ob man geküsst werden möchte, und vorher vielleicht auch Gespräche mit Familie oder der Integrationskraft geben können.

Aufgrund der anhaltenden Kritik durch behinderte Aktivist*innen am sogenannten Schwer-in-Ordnung-Ausweis finde ich das Vorkommen desselben im Buch nicht ideal, und mag daher in dieser Rezension auf die Kritik daran hinweisen.

Insgesamt aber ein schönes Buch, das viele Leser*innen verdient und das ich gerne gelesen habe. Danke daher an Malou Großklaus für das Rezensionsexemplar.

Über das Gefühl spät dran zu sein

Ich bin spät dran. ADHS ist diesmal unschuldig, ich bin nicht wirklich spät dran (oder?). Nicht physisch spät dran. Ich fühle mich spät dran.

Gefühlt sind alle andern früher dran. Ich sehe die U20-Meister*innen im Poetry Slam, die schon mit neunzehn einen so ausgefeilten Stil haben, dass ich nur staunen kann. Ich sehe Autor*innen, die mit Ende zwanzig schon mehrere Romane veröffentlicht haben und über die nun große Zeitungen berichten, ich sehe die ersten Ausschreibungen für „Jungautor*innen“, für die ich zu alt geworden bin. Ich sehe wie Menschen, deren Schreibstil und Attitude ich tief bewundere, Preise einheimsen, für die ich auch überlegt hatte was einzuschicken und mir dann im Folgejahr bei der nächsten Ausschreibung denke: kannst du vergessen. Du bist nicht gut genug, du bist nicht so versiert, talentiert, erfahren genug.

Ich bin dreißig und ich finde Dreißigsein eigentlich bisher wirklich okay. Und trotzdem hab ich in dieser Literatur(performance)branche das Gefühl, nicht früh genug bereit gewesen zu sein.

Mit siebzehn fehlte der Slam vor Ort, um barrierefrei anfangen zu können, mit einundzwanzig fehlten aus Gründen die Worte und schließlich der Mut, Schreiben wieder für mich zu entdecken, mit sechsundzwanzig kam es langsam zurück und ich fand den Einstieg. Ich hab in der Zwischenzeit und seitdem studiert, versucht zu promovieren, einen autistischen Burnout ausgeheilt, mich selbstständig gemacht, ein Kind bekommen. Ich hab immer weiter geschrieben, seit ich meine Worte wieder habe, ich verdiene Geld mit unter anderem dem Schreiben und Performen, ich hab auch während der Schwangerschaft jeden Tag geschrieben und tue es immer noch.

Und trotzdem fühlt es sich zu spät an.

Ich könnte so viel etablierter sein, sagt das kapitalistische Drecksschwein in mir, das ich natürlich in diesem System nicht so unterdrücken kann, nicht so loswerden kann, wie ich gerne würde. Ich könnte so viel besser, so viel weiter sein.

Dabei war es ja nicht ohne Grund so, dass ich nicht schreiben konnte für ein paar Jahre. Nach einem Todesfall fehlten mir die Worte. Und den Mut wiederzufinden, doch wieder nach Worten zu suchen, während man von einer schwierigen Zeit in die nächste gerät, ist so, so schwer. Und ich will mir sagen, dass es okay ist, erst mal klarzukommen, dass es doch auch ganz gut ist, dass ich mir erst dann versuche einen Namen zu machen, wenn es auch der Name ist, den ich tragen möchte. Und absurderweise gilt man ja mit einem Debüt unter vierzig trotzdem noch als jung.

Das passt alles nicht zusammen und ich glaube auch deshalb bleiben die Gedanken, Sorgen, Ängste im Kopf. Ich hoffe (und es fühlt sich oft vergeblich an), dass sich Dinge ändern könnten. Dass es irgendwann mehr Residenzen für Künstler*innen mit Kind(ern) gibt. Dass es sowieso irgendwann (und hoffentlich bald) mehr Stipendien gibt, die barrierefrei(er) sind. Oder halt einfach ein staatliches, bedingungsloses Grundeinkommen.

Ich hab keine Lösung in mir für dieses Gefühl zu spät dran zu sein. Vielleicht hat jemand von euch Gedanken, ich freu mich von euch zu hören. Oder vielleicht geht es anderen ähnlich und vielleicht hilft es, zu wissen, dass ihr nicht allein seid damit.

Ein Glück – ein neuer Katzenkrimi!

Verlagsbeschreibung:

Als ihr Gefährte Kater Watson von einem verschwundenen Straßenkätzchen erzählt, ist Katzendetektivin Miez Marple überzeugt, dass der kleine Streuner schnell wieder auftauchen wird. Doch sie wird eines Besseren belehrt. Denn hinter dem Verschwinden des Kätzchens verbirgt sich ein Fall, der sogar ihr das Fell zu Berge stehen lässt. Miez Marple, Watson und die Taube Betti nehmen die Ermittlungen auf. Dabei stoßen sie auf eine mysteriöse Mordserie und wohnen düsteren Treffen auf Friedhöfen bei. Doch Miez Marple und ihr Team sind fest entschlossen, den Fall zu lösen und dem Bösen ihre flauschige Stirn zu bieten.

Rezension

Miez Marple ermittelt wieder – und das ist ein Glück! Einerseits für die Katzenwelt, wer würde sonst kleine Kätzchen retten, Morde aufklären und verhindern und vor allem: wer würde fabelhafte Gedichte schreiben? Andererseits ist es aber eben auch ein großes Glück für uns, weil wir Miez und ihren Freund Watson bei den Ermittlungen lesend begleiten dürfen. Losgelöst von den Abenteuern des ersten Bandes beschreibt Fabian Navarro mit viel Katzenwortwitz und -spiel die Machenschaften der Bösen, den Zusammenhalt von Miez und ihren Freund*innen und das Treiben der tierischen Medienanstalten. Großartig wieder: die Namenswahl der Figuren. Mit stetem Bezug zu real existenten lebenden oder toten Personen findet der Autor jedes nur mögliche tierische Wortspiel. Während die Menschenwelt im Buch nur eine kleine Nebenrolle spielt, finden sich in dieser kätzischen Realität viele Bezüge zu politischen und sozialen Missständen und Ereignissen unserer Welt, genial verwoben durch Wollfäden ziehende Pfoten (als ob Fabsens Katzen ihre Krallen da nicht im Spiel hatten).

Fazit: ein Krimi, der selbst mir als Katzen- aber nicht Krimifan großen Spaß macht und den ich nur empfehlen kann.

Ich warte: auf Miez Marples Lyrikband. Das waren auch echt zu wenige Gedichte in diesem Krimi.

Ich frage mich: Wie würde man Katzen entgendern? Katzen*Kater? Sind Kater einfach mitgemeint? Fragen über Fragen…

*** Danke an den Goldmann Verlag für das Rezensionsexemplar ***

Über Vielfalt

Vielfalt, die. Substantiv, feminin.

Bedeutung: Fülle von verschiedenen Arten, Formen o. Ä., in denen etwas Bestimmtes vorhanden ist, vorkommt, sich manifestiert; große Mannigfaltigkeit[1]

Vielfalt, sobald sie sich auf die Gesellschaft bezieht, wird vieldiskutiert, obwohl es eigentlich nicht so viel zu diskutieren gibt. Sie ist alltäglich, alles umfassend und überall zu finden, weil Vielfalt so vieles miteinschließt. Vielfalt in ihrer Vielfalt lässt sich kaum definieren, eben weil so vieles dazugehört, weil wir alle dazugehören. Dass sie so sehr diskutiert, teils verneint oder verweigert wird, liegt oft an Nichtwissen, Nichtkennen und manchmal an schlichter Ignoranz. Das Gute ist: Lernen ist möglich.

Gestern, am 11.12.2023 ist Vielfalt – das andere Wörterbuch im Duden Verlag erschienen und sorgt für eine weitere Möglichkeit, Vielfalt kennenzulernen, zu verstehen und für sie sensibilisiert zu werden. 100 Begriffe werden in 100 Beträgen von 100 Menschen erklärt, die allesamt persönlichen und/oder beruflichen Bezug zu ihren Themen haben. Neben offensichtlicheren Vielfaltsthemen wie Behinderung, Rassismus, Klassismus und Queerness finden auch Themen wie Demokratie, Medienvielfalt und Sport ihren Raum. Und natürlich: 100 Begriffe erklären nicht die gesamte Vielfalt. Aber es ist ein Anfang. Ein erster Versuch, eine Annäherung.

Neben 99 anderen Autor*innen darf auch ich in diesem Buch stehen, das Sebastian Pertsch so großartig kuratiert und herausgegeben hat. Mein Thema, Heteronormativität, erkläre ich auf meinen beiden Seiten so knapp wie nötig, so persönlich wie möglich, ohne dass es den Sachbuchcharakter verliert. Alle weiteren Themen, in die ich reingelesen habe, lesen sich absolut fantastisch, interessant und klug geschrieben, und ich wünsche diesem Buch und uns allen und auch der Vielfalt selbst so viele Leser*innen wie möglich.


[1] Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/Vielfalt (Zugriff 12.12.2023)

Hoffnung, die leuchtet und berührt

In Hoffnung, die leuchtet, verarbeitet Jasmin Sturm alias Farbflausen in 24 Texten und Illustrationen ihre Gedanken zu Licht, Schatten und dem Dazwischen. Die Texte variieren zwischen Lyrik und Prosa, sind oft sehr persönlich und laden zum Mitfühlen ein. Da geht es um das Leben mit Kindern und ihre Fragen, um die Gesellschaft und ihre (Vor)Urteile, um Krankheit und Behinderung, um Resilienz und wo sie wohnt, um Hoffnungslosigkeit und die leisen und lauten Töne der Verzweiflung, die manchmal in uns mitschwingt.

So sehr ich mich in einigen Gedichten wiederfand, was mich durchweg am meisten berührt hat, waren die Illustrationen. Jasmin Sturm hat eine Art zu bebildern, die mich erreicht, klare, deutliche Farben und Gestaltung, vielfältige Figuren und ruhig, nicht aufwühlend in der Wirkung. Mein wohl liebster Moment im Buch sind zwei Doppelseiten, in denen es ums Aushalten geht, ums damit allein fühlen und dann nicht damit allein sein. So sehr mich hier auch die Worte berühren, es ist die Bildebene, die mich noch tiefer bewegt.

Dank Jasmin für das Rezensionsexemplar. Liebe Leser*innen, das ist nun unbezahlte Werbung, aber schaut euch doch mal in Jasmins Shop um, alle Bücher, Büchlein, Postkarten und und und sind ganz wunderschön.

Lyrik zwischen Softness und queerfeministischer Radikalität

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Fluide, Sovia Szymulas Gedichtbandit*in, empfängt und umschmiegt einen fortan während des Lesens mit dessen queerer Radikalität. Erschienen 2022 im Brimborium Verlag, wechselt es zwischen poetischer Softness und unaufhaltsamer Wut, Liebe für FLINTA* Personen und Hass auf das Patriarchat und alle, die es so bewusst stützen und schützen.

Die Gedichte selbst sind zumeist auf Deutsch geschrieben, manche auf Englisch, leider ohne Übersetzungen, was für einige Leser*innen die Zugänglichkeit erschwert. Ihre Länge, mal nur wenige Zeilen, mal über zwei Seiten wiederum macht Raum auf, um zu fühlen, mal eben nur durch wenige Worte, mal sich fast erschlagen fühlen durch die viele Energie, aber froh sein, dass man das fühlen darf und kann. Sie lesen sich oft wie gesprochen, enthalten Umgangssprache, queere Sprache, feministische Sprache, man merkt im Lesen den Rap- und Spoken-Word-Hintergrund des*der Autor*in als Lila Sovia.

Sovia Szymulas Lyrik ist stark, verletzlich, wütend, soft, laut, leise, empowernd, unendlich queer und feministisch. Es ist kein(*e) Gedichtband(it*in) zum einfach Weglesen, stattdessen zum Fühlen und Radikalisieren lassen.

Danke an den Brimborium Verlag für das Rezensionsexemplar.

Linus liebt Licht – und ich liebe Linus

Linus liebt Licht ist ein Pappbilderbuch ab 2 Jahren, das von einem autistischen Kind erzählt. Es wird beschrieben, was dieses Kind, Linus, glücklich macht, was ihn überfordert, was ihn fasziniert und beruhigt. Jede Seite ist mit wunderschönen Bildern illustriert, die eine klare Bildsprache haben, nicht überladen sind und ohne Verwendung greller Farben auskommen. Was außerdem positiv auffällt, ist die unaufgeregte Diversität der Figuren im Hintergrund der Bilder. Am Ende des Buchs werden schließlich zuerst die Kinder, dann die erwachsenen Leser*innen angesprochen. Ihnen wird erklärt, was es mit Linus und mit Autismus auf sich hat und wieso sich autistische Kinder oder auch Erwachsene auf die eine oder andere Weise verhalten. Es wird außerdem erklärt was Stimming ist („selbst-regulierendes oder selbst-stimulierendes Verhalten“), weil alle Tätigkeiten, die im Buch beschrieben werden, Stimming sein können.

Alles in allem merkt man dem Buch an, dass es ein Herzensprojekt aller Beteiligten ist. Die Autorin Anna Mendel und die Illustratorin Jasmin Sturm sind beide Mütter eines autistischen Kindes und bringen ihre Perspektiven mit in die Geschichte. Da es aber nicht ihrem eigenen Erleben entspricht, da sie selbst nicht autistisch sind, gab es auch ein diskriminierungssensibles Lektorat.

Als Autist*in, die*r erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wurde, habe ich dieses Buch mehr als gerne gelesen, mehrfach hindurch geblättert, die Bilder bewundert und mir gewünscht, es hätte schon in meiner Kindheit ein solches Buch gegeben. Ich habe mich wiedererkannt in den Zeichnungen und der Erzählung und alles sehr nachgespürt, über mein eigenes Stimming nachgedacht und wie schön es ist, dass manches ganz unterschiedlich und anderes ganz ähnlich ist wie bei Linus. Mir persönlich hätten es noch ein oder zwei Seiten Bilderbuch mehr sein dürfen, bevor die Erklärungen für nicht-autistische Menschen anfangen, aber das werden alle unterschiedlich empfinden.
Was für mich tatsächlich etwas herausfordernd war, war der fehlende Übergang zur letzten Doppelseite und dass diese insgesamt sehr voll ist mit Informationen. Nach einem visuell sehr beruhigenden Bilderbuchteil war das für mich ein doller Bruch.

Trotzdem: Linus liebt Licht füllt eine Lücke in der Bilderbuchwelt, das steht für mich absolut fest. Ich wünsche mir mehr solcher positiven Bücher über Autist*innen, groß wie klein und mit Protagonist*innen vieler Geschlechter und Hintergründe. Von mir gibt es 5* für Linus liebt Licht, das, so glaube ich, ich allen Familien (autistisch oder nicht) gut gefallen und auch in Kindergärten gut ankommen wird. Insbesondere möchte ich das Buch aber autistischen Kindern und Erwachsenen ans Herz legen: es tut so gut sich wiederzuerkennen.

Zugänge zu Lyrik

Ich schreibe schon wirklich lange Lyrik. Am Anfang plakative Herz-Schmerz-, Haus-Maus-Reime, einfache Reimschemata, irgendwann so komplizierte Reimschemata wie ich nur überblicken konnte bis hin zu die Reime einfach ganz weglassen oder mitten im Vers einbauen. Ich bin an und mit Lyrik schreiben gewachsen, habe schreiberisch dazugelernt, aber auch in dem, was ich ausdrücken konnte in und zwischen den Versen. Und bis heute schreibe ich gerne Lyrik, regelmäßig, mal nur wenige Zeilen, mal ein ganzes Stück für die Bühne.

Aber: Ich lese noch nicht lange gerne Lyrik. Mein Zugang zu Lyrik war lange Zeit das, was an Gedichten in der Schule vorgesetzt wird: Goethe, Schiller, Eichendorff. In der Mittelstufe vielleicht noch Annette von Droste-Hülshoff. Und wenig davon, von diesen zumeist eben männlichen, weißen, cis-hetero Dichter*innen las ich gern. Diese Lyrik las sich oft verstaubt, berührte mich kaum, und eigentlich ist es ein Wunder, dass ich trotzdem den Zugang hatte, Lyrik zu schreiben und mich darin so frei zu bewegen.

Es brauchte schließlich Lyrik von Menschen, die mir ähnlicher waren, oder die Perspektiven hatten, die ich kennenlernen wollte, die experimentell mit ihren Worten und Versen waren, die mich endlich auch beim Lesen fühlen ließen. Ich las, verschlang geradezu Lyrik von Rupi Kaur, Mascha Kaléko, Audre Lorde, May Ayim, Volha Hapeyeva, Kae Tempest, Warsan Shire, Sirka Elspaß und von fremden Menschen auf Twitter, sah sie auf Bühnen performt von Jule Weber, Miedya Mahmod, Lisa Brück, Jana Goller. Ich fühlte sie, ich fühlte Lyrik. Ich fand und las Romane, die verdichtet waren, Der Schwarze Flamingo von Dean Atta und Die Sonne, so strahlend und Schwarz von Chantal-Fleur Sandjon und fühlte mich unheimlich, unendlich inspiriert.

Diese Lyrik, diese Kunst dieser Menschen und so vieler mehr lässt mich selbst immer wieder ausprobieren, kann ich vielleicht auch diese Art Metaphern nutzen, wie funktioniert jene Art Gefühligkeit, wie kann ich selbst so schreiben – und wie mache ich dann etwas eigenes draus? Das funktioniert auch immer wieder in einer Schreibgruppe, in der ich bin, sich neues aneignen, einander inspirieren, von einander lernen und (schreiberisch) wachsen. Je mehr ich lese, Lyrik oder nicht, desto mehr schreibe ich wieder und umgekehrt. Ich konsumiere Kunst und Kunst entsteht im weiteren Prozess, ich lasse Kunst entstehen und will gleichzeitig Kunst von anderen sehen, lesen, hören, fühlen.

Mein Weg zur Lyrik war immer gegeben, nicht immer leicht zugänglich, nicht immer inspirierend, irgendwann unaufhaltsam und irgendwann wunderschön. Heute kann ich nicht mehr ohne Lyrikband wegfahren. Ein Roman, ein Sachbuch, ein Lyrikband, ein Notizbuch. Mindestens vier Bücher im Rucksack und immer was zu fühlen dabei.

Über Male Gaze und Sprachen lernen

Gestern war Tag der Europäischen Sprachen, und von denen spreche ich ja nun mehrere und hab festgestellt: hab ich Gedanken zu.

Ich lerne Fremdsprachen, seit ich mich erinnern kann. Ich wollte schon als Kindergartenkind vielsprachig werden, war daraufhin in einem Französischkurs für Kinder, dann folgte die Schule, bilingualer Zweig im Gymnasium und jede Fremdsprache wählen, die möglich war, parallel zum Abi mit Portugiesisch anfangen an der VHS, dann Romanistikstudium, Niederländisch im Nebenfach. Ich hab jede Sprache aufgesogen, die mir in die Finger kam. Nicht jede davon spreche ich fließend, aber ich komm immer mindestens durch in den jeweiligen Ländern.

Seit einiger Zeit allerdings räume ich auf in meinen Sprachen. Ich fing bei Deutsch an, über Englisch, Spanisch, Französisch, Niederländisch. Die Art und Weise, wie ich und die Mehrheit aller nämlich Sprachen lernte, ist männlich geprägt. Das fällt insbesondere bei der Auswahl der Literatur an, die im Kurs gelesen wird. Vor drei Jahren hab ich beispielsweise meine gesamten Oberstufenlektüren analysiert und festgestellt: von 21 Werken war eines von einer Frau geschrieben (Anne ici – Sélima la-bas von Marie Feraud). Dieses und weitere zwei (Huis clos/Geschlossene Gesellschaft von Sartre und Madame Bovary von Flaubert) haben weibliche Hauptfiguren. Und ansonsten in diesen zwei Leistungskurse und zwei Grundkursen? Männer, die für Männer schreiben – und Männer, die das in den Kanon aufnehmen, also bestimmen, was literarisch wertvoll ist und was eben zb im Schulunterricht gelesen werden sollte.

Und versteht mich nicht falsch: da sind mit Sicherheit Werke dabei, die wichtig sind zu besprechen in der Literaturgeschichte. Aber nur weiße cis Männer? Immer noch?

Ich lese mittlerweile so vieles, was ich damals lieber gelesen hätte – Werke von Frauen, trans und/oder nichtbinären Menschen, von BIPoC, von Menschen mit Behinderungen. Jüngstes Beispiel: Gabriel von George Sand, erschienen Mitte des 19. Jahrhunderts, das von einem jungen Adligen erzählt, der erfährt, dass ihm bei Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet wurde, er aber wegen Erbe und Titel als Junge aufgezogen wurde. George Sand selbst lebte je nach Ort mal als Frau, mal als Mann und war – unter männliche Pseudonym – enorm erfolgreich in der Schriftstellerei.

Ich bin froh, dass mittlerweile auch moderne Werke mit Vielfalt im Blick Eingang in den Sprachunterricht finden wie Ich bin Linus von Linus Giese oder Untenrum Frei von Margarete Stokowski. Und gleichzeitig: da geht noch mehr. Der Kanon (und die Lehrpläne an Schulen und Unis) werden immer noch von weißen cis Männern dominiert und das muss sich ändern.

Je mehr vielfältige Literatur gelesen und unterrichtet wird, desto vielfältiger wird auch unsere Sprache. Sensible Sprache wird dadurch prominenter – sensibel für Geschlechter, Behinderung, Rassismus usw. Dadurch kann sensible Sprache weiter normalisiert werden und das eben auch im Sprachunterricht.

Ich räume nun nachträglich auf, lerne Neopronomen und inklusive Ausdrücke und Grammatikformen verschiedener Sprachen und lese eben andere Bücher, andere Perspektiven. Das macht meine Arbeit, wie ich Sensitivity Reading und Lektorat betreiben kann, vielfältiger, weitet meinen Blick und mein Bewusstsein und es macht mich auch einfach glücklich, mich nicht nur auf Deutsch immer sensibler ausdrücken zu können.

Über Stolz und Erschöpfung

Es ist Pridemonth. Eine Zeit um stolz darauf zu sein, wer man ist als queerer Mensch, sich zu feiern, aber auch weiter zu kämpfen für die eigenen Rechte und die anderer queerer Menschen.

Nur: Ich finde stolz sein enorm schwierig.

Fand ich, glaube ich, fast schon immer, aber jetzt gerade kickt es oft sehr rein. Ich schaffe viel. Ich versorge mein Kind, ich pflege Freund*innenschaften, ich mache Haushalt, ich arbeite ehrenamtlich bei Organisationen und bringe mich ein, ich schreibe Anträge, ich mache Instagrambeiträge, ich twittere, ich lese, ich bilde mich fort, ich arbeite an einer Buchübersetzung mit, ich schreibe Beiträge für Bücher, ich schreibe für mich, ich schreibe diesen Blogbeitrag und wahrscheinlich hab ich noch mindestens fünf Sachen vergessen. Ich schaffe verdammt viel. Trotz, manchmal wegen meiner Marginalisierungen. Weil ich trotz weniger Kapazitäten manchmal mehr schaffen muss. Um weiterzukommen. Um zu wachsen. Um zu kämpfen. Um zu überleben.

Und oft bin ich gerade so erschöpft, so erschöpft vom ständigen Kämpfen, vom schieren Überleben in dieser queer-, trans- und behindertenfeindlichen Welt, dass es schwerfällt, jetzt auch noch stolz zu sein. Dabei hätte ich auf dem Papier doch wirklich allen Grund dazu.