Linus liebt Licht – und ich liebe Linus

Linus liebt Licht ist ein Pappbilderbuch ab 2 Jahren, das von einem autistischen Kind erzählt. Es wird beschrieben, was dieses Kind, Linus, glücklich macht, was ihn überfordert, was ihn fasziniert und beruhigt. Jede Seite ist mit wunderschönen Bildern illustriert, die eine klare Bildsprache haben, nicht überladen sind und ohne Verwendung greller Farben auskommen. Was außerdem positiv auffällt, ist die unaufgeregte Diversität der Figuren im Hintergrund der Bilder. Am Ende des Buchs werden schließlich zuerst die Kinder, dann die erwachsenen Leser*innen angesprochen. Ihnen wird erklärt, was es mit Linus und mit Autismus auf sich hat und wieso sich autistische Kinder oder auch Erwachsene auf die eine oder andere Weise verhalten. Es wird außerdem erklärt was Stimming ist („selbst-regulierendes oder selbst-stimulierendes Verhalten“), weil alle Tätigkeiten, die im Buch beschrieben werden, Stimming sein können.

Alles in allem merkt man dem Buch an, dass es ein Herzensprojekt aller Beteiligten ist. Die Autorin Anna Mendel und die Illustratorin Jasmin Sturm sind beide Mütter eines autistischen Kindes und bringen ihre Perspektiven mit in die Geschichte. Da es aber nicht ihrem eigenen Erleben entspricht, da sie selbst nicht autistisch sind, gab es auch ein diskriminierungssensibles Lektorat.

Als Autist*in, die*r erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wurde, habe ich dieses Buch mehr als gerne gelesen, mehrfach hindurch geblättert, die Bilder bewundert und mir gewünscht, es hätte schon in meiner Kindheit ein solches Buch gegeben. Ich habe mich wiedererkannt in den Zeichnungen und der Erzählung und alles sehr nachgespürt, über mein eigenes Stimming nachgedacht und wie schön es ist, dass manches ganz unterschiedlich und anderes ganz ähnlich ist wie bei Linus. Mir persönlich hätten es noch ein oder zwei Seiten Bilderbuch mehr sein dürfen, bevor die Erklärungen für nicht-autistische Menschen anfangen, aber das werden alle unterschiedlich empfinden.
Was für mich tatsächlich etwas herausfordernd war, war der fehlende Übergang zur letzten Doppelseite und dass diese insgesamt sehr voll ist mit Informationen. Nach einem visuell sehr beruhigenden Bilderbuchteil war das für mich ein doller Bruch.

Trotzdem: Linus liebt Licht füllt eine Lücke in der Bilderbuchwelt, das steht für mich absolut fest. Ich wünsche mir mehr solcher positiven Bücher über Autist*innen, groß wie klein und mit Protagonist*innen vieler Geschlechter und Hintergründe. Von mir gibt es 5* für Linus liebt Licht, das, so glaube ich, ich allen Familien (autistisch oder nicht) gut gefallen und auch in Kindergärten gut ankommen wird. Insbesondere möchte ich das Buch aber autistischen Kindern und Erwachsenen ans Herz legen: es tut so gut sich wiederzuerkennen.

Warum ich tue, was ich tue

Als ich jünger war, gab es mich nicht.

Drastisch. In Hinblick auf die damalige und zu großen Teilen die heutige Medienlandschaft ist es trotzdem eine traurige Wahrheit. Es gab keine nichtbinären Charaktere, nicht mal binärgeschlechliche trans Figuren, keine Mädchen oder andere nichtmännliche Charaktere auf dem autistischen oder dem ADHS-Spektrum, keine bi-, pan-, asexuellen/-romantischen Figuren. Alles orientierte sich an weißen, cismännlichen, hetero, nichtbehinderten Personen, alle anderen Figuren waren oft klischeebehaftet und häufig dem male gaze (engl.: aus männlicher Sichtweise) ausgesetzt. Von Vielfalt keine Spur, von Wiedererkennung, Repräsentation, Sichtbarkeit, Mehrdimensionalität, Intersektionalität.

Seit ich schreibe – und das tue ich, seit ich schreiben kann – schreibe ich Charaktere, die mir ähnlich sind. Ich schreibe, was mir fehlte. Gleichzeitig fehlt es im Außen immer noch.

Zeitsprung.

Ich bin 27 Jahre alt, habe mehrere Comingouts hinter mir, mehrere Diagnosen noch vor mir. Auf Twitter stolpere ich über das Konzept Sensitivity Reading und die Seite www.sensitivity-reading.de/. Ich zögere nicht lange, bis ich eine E-Mail schreibe und meine Arbeit für die Bereiche Nichtbinarität, Queerness und gendersensible Sprache anbiete. Kurz darauf stelle ich diese Homepage online, weil ich neben SR eben auch reguläres Lektorat anbieten möchte. Ich mache mich selbstständig, obwohl ich das nie wollte (lol @Vergangenheits-ich).

Zeitsprung.

Ich bin 29 Jahre alt. Ich habe mehrere Comingouts und mehrere Diagnosen hinter mir. Ich bin nichtbinär trans und [gender]queer, pan, quoiromantisch und demisexuell, autistisch, ADHSer und habe Depressionen. Zu all dem und zu verwandten Themen wie gendersensibler Sprache habe ich ein enormes Fachwissen angesammelt, dass ich anzuwenden weiß und stetig erweitere, um auf neuestem Kenntnisstand zu sein. Ich werde für Vorträge und Workshops gebucht, ich arbeite an Büchern mit in Lektorat, Sensitivity Reading, Übersetzung, ich schreibe weiter auch selbst. Ich stehe auf Bühnen und bin sichtbar in all dem, was ich bin.

Mit all meiner Arbeit versuche ich umzusetzen, was mir früher fehlte. Manchmal ist das anstrengend.

Aber es gibt mich jetzt.

Es gibt mich auf Bühnen, in Büchern, in Serien und Filmen, in der Musik, in der Kunst, in den Medien. Ich bin sichtbar. Menschen wie ich sind sichtbar. Lange nicht sichtbar genug, ebenso wie Menschen anderer Marginalisierungen. Aber sichtbarer. Immerhin. Und so anstrengend es manchmal ist, so schmerzhaft manche Anfeindungen sind, so hilfreich und heilend ist jedes „Danke, dass du sichtbar bist. Danke, dass du da bist. Danke, dass ich Menschen wie mich auf Bühnen sehen, in Büchern lesen, in Filmen sehen kann.“ von anderen Betroffenen, jedes „Danke, dass du mir hilfst, die Darstellung gut zu machen.“ von Autor*innen, jedes „Danke, dass du uns hilfst zu verstehen.“ von Vereinen, Firmen, Einzelpersonen.

Also mache ich weiter. Und ein Glück macht mir das alles auch einfach verdammt viel Spaß.